BUCHTIPPS FÜR DEN URLAUB - TEIL 1
Der Klang der Seiten
Der Literaturnobelpreisträger und seine Freundin
Die wohl überraschendste Entscheidung des Nobelpreiskomitees in der jüngeren Zeit war es, 2016 den höchstdotierten Literaturpreis der Welt an Bob Dylan zu verleihen. Zu Recht, denn die Texte zu Dylans Songs sind oftmals Gedichte von epischem Ausmass. Aber auch als Buchautor ist „His Bobness“ gar nicht so übel: In seinen autobiographischen „Chronicles“ (2004) lässt er sich tief in die Seele blicken. Weil Dylan nicht selbst zur Nobelpreisverleihung kommen konnte, schickte er eine Freundin nach Stockholm – die Rock-Ikone Patti Smith. Die gibt als Autorin eine ebenso passable Figur ab, wie ihr vielfach ausgezeichnetes Erinnerungsbuch „Just Kids. Die Geschichte einer Freundschaft“ beweist – eine Hommage an den Fotografen Robert Mapplethorpe.
- Bob Dylan: Chronicles Vol. 1, Hoffmann und Campe 2004. 304 Seiten.
- Patti Smith: Just Kids. Die Geschichte einer Freundschaft. S. Fischer 2011. 321 Seiten.
Planet Murakami trifft auf Doktor Faustus
Von Musik regelrecht besessen ist Haruki Murakami. Der japanische Bestseller-Autor, der in seinen Büchern Reales und Traumhaftes gekonnt vermischt, hat lange Zeit eine Jazzbar in Tokio betrieben. Allein seine Vinyl-Plattensammlung umfasst 10.000 Alben. Und in jedem seiner Romane spielt ein bestimmtes Musikstück eine leitmotivische Rolle. In „1Q84“ ist es zum Beispiel Gustav Janečeks „Sinfonietta“, in „Naokos Lächeln“ der Beatles-Song „Norwegian Wood“. Es gibt ausserdem eine 3.442 Songs umfassende Murakami-Playlist auf Spotify, die von einem Fan zusammengestellt wurde.
Noch kein Fan hat sich die gleiche Mühe für Nobelpreisträger Thomas Mann angetan. Vielleicht, weil in dessen „Doktor Faustus“ hochkomplexe Zwölftonmusik quasi die Hauptrolle spielt. Für seinen grossen Roman über den fiktiven Komponisten Adrian Leverkühn, der einen Pakt mit dem Teufel eingeht, hatte sich der deutsche Autor musikalische Ezzes bei seinen Zeitgenossen Arnold Schönberg, Igor Strawinsky und dem Philosophen Theodor W. Adorno geholt.
- Haruki Murakami: 1Q84. 3 Bände. DuMont 2011/2012. 1600 Seiten.
- Thomas Mann: Doktor Faustus. S. Fischer 1947. 546 Seiten.
Klingende Gesellschaftsporträts
Richard Powers gilt einer der wichtigsten lebenden US-Autoren. Sein Monumentalwerk „Der Klang der Zeit“ ist eine epische Familiensaga aus dem amerikanischen Osten. In dieser Geschichte zweier Brüder spielt das Singen eine Hauptrolle. „Der Gesang schlug die Kinder in den Bann, sie waren süchtig nach diesen musikalischen Abenden wie die Nachbarn nach ihren Radios. Singen war ihr Baseball, ihr Flohhüpfen, ihr Mensch-ärgere-dich-nicht.“ Powers‘ Buch ist farbenfroh, üppig und ein packendes Leseerlebnis, das die USA der Nachkriegsjahrzehnte vor dem inneren Auge nachbaut.
Nicht nur vom Titel her bildet Julian Barnes‘ Roman „Der Lärm der Zeit“ das Gegenstück zum „Klang der Zeit“: Der britische Autor Barnes schildert die bedrückende Ära der Sowjetunion unter Stalin, wo Millionen Menschen willkürlich in Straflager verschickt oder hingerichtet wurden. In dieser Zeit des Schreckens war auch der gefeierte Komponist Dimitri Schostakowitsch seines Lebens nicht sicher. Julian Barnes biographischer Roman ist ein Kammerspiel über die Angst, die totalitäre Systeme über die Menschen bringt.
- Richard Powers: Der Klang der Zeit. S. Fischer 2004. 765 Seiten.
- Julian Barnes: Der Lärm der Zeit. Kiepenheuer & Witsch 2017. 245 Seiten.
Jazz und Hardrock
Zum Schluss noch einmal zurück in die USA: Der Roman „Jazz“ von Toni Morrison entführt in das schwarze Harlem der 1920er-Jahre, einen Ort der Gegenkultur jenseits weisser Gesetze. Die Nobelpreisträgerin greift in ihrem Buch musikalische Muster der Jazzmusik auf, um die Geschichte der Schwarzen in den USA von der Sklaverei bis zur Rassentrennung zu erzählen: „Bluesman. Black and bluesman. Blacktherefor blue man.“
Ebenfalls in New York, aber in den 1970er-Jahren, setzt Jennifer Egans Buch „Der grössere Teil der Welt“ ein, und es endet in der nahen Zukunft. Die meisten Charaktere der 13 lose zusammenhängenden Kapitel haben mit dem Musik-Business zu tun. Da gibt es erfolgreiche Musikmanager und gescheiterte Musiker, Groupies und Rockstars, die sich im Buch tummeln. Ein Highlight ist das vorletzte Kapitel über die besten Pausen in Rocksongs – geschrieben als Powerpoint-Präsentation. Jennifer Egans Buch wurde mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet.
- Toni Morrison: Jazz. Rowohlt 1993. 250 Seiten.
- Jennifer Egan: Der grössere Teil der Welt. Schöffling & Co. 2011. 388 Seiten.
Teil 2 unserer sommerlichen Buchtipps finden Sie hier – bis dahin wünschen wir: Viel Spass beim Lesen!
Webtipp für Buchliebhaber
Die Buchliebhaber-Website „lovelybooks“ hat bei ihren Userinnen und Usern nachgefragt, welche Romane zur Musik diese empfehlen. Herausgekommen ist eine Liste mit 121 Büchern. Manche von ihnen finden sich auch hier bei uns wieder.
Das könnte Sie auch interessieren:
Hören
Es ist wichtig,
Hörminderungen
zu kommunizieren
Hörgeräte dürfen mit Stolz getragen werden. Davon sind wir überzeugt – nicht zuletzt, weil es viele gute Gründe dafür gibt, unser Leben mit einer Hörminderung zu kommunizieren.
Mehr lesenHören
In welchen Stufen
tritt Hörverlust auf?
Ist Hörminderung gleich Hörminderung? Tatsächlich gibt es verschiedene Faktoren, die hier eine Rolle spielen. Die Tonhöhe und die Lautstärke machen hier den Unterschied. Sie möchten wissen, welche Abstufungen es gibt? Das erklärt unser neuer Artikel.
Mehr lesen